different eyes #2

Das fotografische Porträt
von Silvie Aigner

Das photographische Portrait ist ein geschlossenes Kraftfeld. Vier imaginäre Größen überschneiden sich hier, stoßen aufeinander, verformen sich. Vor dem Objekt bin ich zugleich der, für den ich mich halte, der, für den ich gehalten werden möchte, der, für den der Photograph mich hält, und der, dessen er sich bedient, um sein Können zu zeigen.   Roland Barthes »Die helle Kammer«

Spätestens seit Dürers gezeichnetem Selbstporträt als nackter Mann gilt das Künstlerselbstbildnis als Schauplatz des Individuums – als Dokumen­tation seiner Einzigartigkeit – zugleich ist es aber auch das klassische Medium der Selbstinszenierung und Selbstbefragung. Im Selbstporträt bringen die Künstler ihr eigenes Rollenverständnis zum Ausdruck. Die bildlichen Mittel für diese Stilisierung reichen von Körperhaltung, Mimik, Gestik, Kleidung, Frisuren, Attributen und Inschriften bis zum szenischen Arrangement – alles Zeichen, die Funktion und Intention des Bildnisses belegen und in erster Linie für den Betrachter bestimmt sind: Denn der Künstler zeigt sich so, wie er gesehen werden will. Das Leben sei ein Schauspiel, »in dem jeder seine Maske vor das Gesicht nimmt und seine Rolle spielt«. Diesem Satz, den Erasmus von Rotterdam 1509 notierte, sind wir geneigt, auch noch heute zuzustimmen. Die digitalen Medien, die die Kontrolle über unsere Bilderwelten übernommen haben, verwandeln Gesichter in Masken und Marken, die ganz bewusst Botschaften transportieren.
»Die Aufgabe des Porträtierens bringt etwas wie Dienstbarkeit mit sich, gegen die die schöpferische Kraft sich sträubt.« schrieb der deutsche Kunsthistoriker Max J. Friedländer 1947 in seiner Essaysammlung »Über die Landschaftsmalerei und andere Bildgattungen«. Seiner Ansicht nach gelang es im Laufe der Kunstgeschichte nur wenigen Künstlern, auch beim Porträtieren eigenständig zu bleiben. D.h. tatsächlich Kunstwerke zu schaffen und keine Abbilder, die allzu sehr den Vorstellungen der Auftraggeber entsprachen – doch wie wir  wissen hat bereits Oscar Wilde durch seine Figur des Malers Basil Hallward im Roman: »The Picture of Dorian Gray« die Freiheit des Künstlers betont: »Ein Porträt mit Gefühl gemacht, ist immer ein Porträt des Künstlers  und nicht des Modells«, ließ der Schriftsteller ihn sagen. Individualität gilt allgemein als entscheidendes Merkmal des Porträts. Doch schon in der Antike brachte die Darstellung des menschlichen Antlitzes eine repräsentative und politische Aussage zum Ausdruck. Es gilt als Faktum, dass eine Reihe von griechischen Bildnissen nicht die individuellen Züge der Porträtierten trug, sondern deren idealisierte Wiedergabe. Die Identität beschränkte sich daher wohl nur auf den Namen in der Inschrift am Sockel. Aber wann ist diese Grenze zwischen real und ideal wirklich nachvollziehbar? Und stellt sich die Frage nach der Individualität des Porträts heute wirklich völlig neu? Damals wie heute spielten Kriterien wie Auftraggeber, Ausstellungs- oder Aufstellungsort, Zeitpunkt und Inhaltlichkeit des Bildnisses eine Rolle, mit Ausnahme des repräsentativen Aspekts, auf den das zeitgenössische Porträt zumeist gänzlich verzichtet. Vor allem die heutige Werbe- und Life-Style-Industrie benützt eine vorgetäuschte Individualität, um ihre Inhalte zielgruppenorientiert zu platzieren. So gesehen ist das Bild nie nur ein Abbild, sondern auch ein Bild der Gegenwart im Umfeld des Dargestellten oder des Fotografen und Künstlers. Im Zentrum der Ausführungen stehen die Bildsprache und deren Inhalte. Das Spiel des Tarnen und Täuschens ist stets präsent sowie die Nutzung der unendlichen Möglichkeiten der Selbstdarstellung. Das diesjährige Projekt zum Thema Porträt ist daher logische Weiterführung des Sujets. Nach »Different Eyes« widmet sich auch die diesjährige Ausstellung dem fotografischen Porträts aus multiperspektivischer Sicht. Aus dem Blickwinkel von sechs  KünstlerInnen, die sich unter anderem dem Medium der Fotografie verschrieben haben, entstanden sechs Serien von Porträts. Einem jeweils individuell erarbeiteten Bildkonzept folgend, fotografieren die KünstlerInnen sich selbst und in Folge jeweils gegenseitig. Auch hier dominiert die Sichtbarmachung von Eigen- und Fremdwahrnehmung sowie die Tendenz zur Stilisierung, selbst dort wo der Hintergrund vollkommen neutral gehalten wird. Das fotografische Porträt generiert eine Identität, die


    

 


vom Repräsentativsten bis zum Intimsten alle Abstufungen durchlaufen kann. Das Gesicht fungiert dabei als Mitteilungsmedium und Membran einer kurzen Begegnung. Spätestens seit Andy Warhol durchbrach das Porträt die Grenzen zur Werbeindustrie. Hier drückt das Porträt kaum Individualität aus, sondern wird zur Projektionsfläche und wurde gewissermaßen bewusst zur Stereotype geformt. Was zeigt also ein Porträt wirklich? Selbst Sokrates vermisste die Charakteristik einer Person in der bloßen Abbildung der äußerlichen Physiognomie. So fragte er den Maler Parrhasios: »Warum ahmt ihr nicht auch die seelischen Eigenschaften nach, das Überzeugendste, das Angenehmste, das Holdeste, das Begehrenswerteste?« Doch der Maler antwortete: »Wie könnte denn etwas nachzubilden sein, mein lieber Sokrates, das weder Gleichmaß, noch Farbe, noch sonst etwas hat, noch überhaupt sichtbar ist«.1  Wobei anzumerken ist, dass selbst Sokrates nicht vom Abbilden sondern vom Nachahmen sprach. Das heißt, das Porträt kann im besten Fall dem Dargestellten ähnlich sein, wirklich erfassen kann es eine Person nicht. Es stellt nach Parrhasios im besten Fall das dar, was man sieht. Dennoch kann ein Porträt benützt werden, um Stimmungen und Gefühle darzustellen, doch sind dies bereits Interpretationen und konzeptuelle Überlegungen des Künstlers. Das Gesicht wird dazu benützt etwas auszudrücken, was jedoch eventuell mit der Identität der Person nichts mehr zu tun hat. Andererseits besteht die Möglichkeit, einen kurzen Augenblick des Privaten einzufangen, eine Stimmung oder auch nur einen Blick, der sich dem Posieren entzieht und ein intimer Gefühlsausdruck wird sichtbar, der nur in diesem einen Moment aufblitzt. Der Umgang mit der Realität des Fotos und der Anspruch des Betrachters, damit tatsächlich ein Bild der Wirklichkeit vor sich zu haben, sind in den letzten Jahren verstärkt durch Ausstellungen und kunsttheoretische Schriften untersucht worden. Dabei spricht jedoch heute kaum jemand mehr von jenen Parametern, wie sie für die Ikonographie des Porträts prägend waren. So spricht die Kunstkritik vor allem stets davon, dass das fotografische Porträt – in einer Welt, wo längst die Wirklichkeit zum permanenten Bild geworden ist bzw. das permanente Bild oftmals zur Wirklichkeit – obsolet geworden ist. Vor allem durch die damit verbundene Fragestellung nach Authentizität, Individualität und ihrer Manipulierbarkeit. 

Hier bereits zeigt sich die Selbstdarstellung als Akt der Konstruktion. Sich selbst als anderen wahrzunehmen oder zu beobachten, bringt – das hat nicht erst Jacques Lacan gezeigt – paradoxerweise ebenso die Erfahrung von Spaltung wie auch die Illusion eines kohärenten Selbst hervor. Gerade weil aber die Konzeption von ›Identität‹, ›Individualität‹ und ›Person‹ kein konstantes historisches Phänomen ist, sondern eine Konstruktion, antwortet das Medium des Selbstbildnisses so ungemein facettenreich auf den Appell: »Zeige, wer du bist.«

1   Zitiert nach: Anne Krauter:
Viele Bilder – (k)ein Original?
Aspekte des Porträts heut
e in:
Abbild, steirischer Herbst, 2001