Glühend Eis_01, 2010
59 x 43 x 8 cm, 2 Schichten, Fine Art Print auf Plexiglas,
PLEXIGLAS EndLighten gefräst,
LED, Metallverbindungen
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Brigitte Borchhardt-Birbaumer
Zu Theres Cassinis dreiteiliger Werkserie „Glühend Eis“
Singe die Gärten, mein Herz, die du nicht kennst;
wie in Glas eingegossen…... 1
Glühend Eis I
Schichtbilder aus Acrylglas- und Lichtplatten
Vielschichtigkeit und Gegensinn sind den frei stehenden wie an der Wand situierbaren Plexiglasobjekten von Theres Cassini eingeschrieben. Das ist schon am Titel der Werkserie zu erkennen: „Glühend Eis“ ist ein Zitat, das Werner Hofmann für seine Capriccio-Theorien von William Shakespeare (Sommernachtstraum) heranzieht. Poesie contra Theorie, das ist auch ein Paradox – in Augenschein genommener, vielschichtig-rätselhafter Doppelsinn.2 Parallel zur Kunstgeschichte in der Traumanalyse seit Sigmund Freud archäologischer Schürftechnik angenähert.
Die zwei Seiten des Kunstwerks gibt es in Cassinis Fall real und auch inhaltlich – sie verschmelzen fragmentiertes Blumenbild und Zahlen sowie Eisstruktur und Kratzspuren oder Gravierungen. Im Eiskasten lagern die winterlichen Blumenbeete der Künstlerin, konserviert, aber vom Strom abhängig, der sie kristallin hält. Die Ambivalenz, ja eigentlich Ambiguität der vielstimmigen Gegensätze verortet diese schönen Dinge am Rande des Verderbens wie kühle Nachfahren eines Vanitasgemäldes der Barockzeit. Doch es sind vor allem Geografien unseres gegenwärtigen Umgangs mit der Natur. Hier decken selbst die Materialeigenschaften jene aktuellen Brüche kritisch auf, die Mensch und Umweltschutz als unvereinbare Gegner bloß stellen. Niemals verrottbares Plexiglas birgt zerbrechliche Blütenpracht.
Zynisch gedacht – sind diese Werke das, was uns von der Natur einmal bleiben wird oder was wir, von ihr entfremdet, daraus gemacht haben? Cassini nannte ihre Alterungsarbeit an unverwüstlichen Barbiepuppen „REALITÄT“, diese Doppelbödigkeit hat sie auch seit 2009 in der neuen Serie nicht losgelassen. Gegensätze sind nicht dazu bestimmt Antworten zu geben, sie regen nur vernetzend Denkstrukturen an. Wild wachsende Eisnetze wie die uns seit der Kindheit bekannten Eisblumen zwischen Fenstern, zeigen einige der Glasbilder, die mittels fotografischem Verfahren auf die vordere Plexiglasplatte gedruckt werden.3 Gemeinsam mit der mitwirkenden Kratzstruktur der zweiten Platte wird dem wuchernden Netz dann weiterer Tiefencharakter verliehen; das in die rückwärtige Platte einströmende Licht tut sein Übriges, es lässt die gravierten Zahlen aus bedrohlichen Umweltstatistiken wie ein Relief aus einem plastischen Grund treten.4
Wie definieren sich diese Objekte? Als Lichtskulpturen, mit Licht inszenierte Fotografien oder als Glasspiegelungen? Sie sind alles davon, und sie erweitern das Zusammenspiel von Foto und Objekt, das Cassinis schaurig-schreckliche Paradiese ausmacht. Zuweilen finden sich kleine nackte Figürchen auf dem Eis als ob sie sonnenbaden wollen - Narren aus der Werbung wie die seltsame Schar von Mischwesen bei Bosch in einer Hölle aus Feuer und Eis. Landschaften, Bäume und Eisblumen, üppig farbig und monochrom reduziert auf Durchsicht und Mattigkeit opaker Stellen. Zahlen geschrieben wie ein Hauch auf kaltem Glas, nur eben bleibend malerische Geste mit dem Bohrer statt Pinsel. Rückläufige Antizivilisation kündigt sich an durch die hohen Ziffern, die aufgewendet werden müssten, um den CO 2 Überschuss, das Ökodefizit wieder in den Griff zu bekommen, das seit dem „Earth Overshoot Day“ anfällt.5 Das Datum 24.8.2009 leuchtet aus den Eiskristallen wie auch die Übertretungen und der daraus folgende Aufwand. Sie sollten schockieren, doch sie deuten sich im Kunstwerk gewandelt in Schönheit an – und trotzdem ist Cassinis Thema die gesellschaftspolitische Wandlung, die nötig wäre, um uns selbst zu retten. Die Sinnlichkeit korrespondiert mit einer Wut, die nach eigentlichem Bewahren schreit und doch stilles Bild bleibt.
Und eigentlich ist es auch ein Spiel mit der erweiterten Wahrnehmung des Betrachters seit den ersten Plexiglasskulpturen der Op-Art.6 Warum aber erscheint das Bild geeister Blumen so heiß im Auge? Die Sinnlichkeit der zu reinen Farbabstraktionen verfließenden Fragmente mit Tautropfen auf geädertem Blatt oder behaartem Stängel ist hoch – Adern und Fruchtperlen strotzen vor Frische, sind appetitlich eingefangen in gläserner Herrlichkeit. Schließlich sind sie aber auch unausrottbar gemacht durch das Plexiglas, während uns die Welt heraußen stirbt, verwest wie die Blumen, wenn der Strom ausfällt, der sie konserviert hat, bevor sie die Kamera im gefrorenen Moment einfing. Ewiges Leben tritt hier gegen Zerbrechlichkeit und Zerstörung an. An sich eine Eigenschaft von Kunst, die aber außer Stein kaum geeignete Materialien einsetzen konnte bis zum Kunststoff. Der Stein ist deshalb auch das weitere Material der Serie in einer weiteren Phase von „Glühend Eis“.
1 Anfangszeile eines Gedichts von Rainer Maria Rilke, aus: Gärten. Texte aus der Weltliteratur. Manesse Bibliothek, Zürich 1997, S. 196.
2 Werner Hofmanns Doppelsinn, zuletzt in: Phantasiestücke. Über das Phantastische in der Kunst, München 2010.
3 Technisch gesehen handelt es sich um 2 oder 3 Plexigläser, die mittels Schrauben und Distanzhülsen verbunden werden.
Die vorderste Platte ist mit Fine Art Print Verfahren bedruckt (UV-härtende Farben werden mittels Flatbedverfahren
aufgetragen), die rückwärts letztangeordnete Platte aus Plexiglas EndLighten der Firma Evonik Industries lässt durch
eingegossene Silberblättchen das Einleiten von LED Licht zu. Diese Platte wird mit Schleifpapier angekratzt und Zahlen
werden mit speziellen Bohrern eingraviert, ein schwieriges Unterfangen, das dann an der Oberfläche durch das Licht zu
besonderer Tiefenwirkung verschmilzt.
4 Die Künstlerin übernimmt diese Zahlen, aber sie vertraut auch den Statistiken nicht unbedingt.
5Der Earth Overshoot Day markiert den Tag, an welchem die Nachfrage an Ökodienstleistungen das Angebot an erneuerbaren Ressourcen übersteigt.
6 Solche verschraubte Schichtung von Plexiglasplatten gab es bei Helga Philipp oder Bridget Riley seit den späten 1960er
Jahren in Verbindung mit Siebdruck, auch bei Bernhard Leitner als Raummodelle für seine Tonskulpturen.
Glühend Eis II
Schneewuchs durch alle Gehäuse, frei ein einziges
Feld, das einen Lichtschein beziffert: die Stimmen.
Paul Celan, (Teil aus) Windgerecht
Double Binds
konzeptuelle Fotografien auf Metall
Ein zweiter Schritt der Werkserie „Glühend Eis“ von Theres Cassini ist das Zusammensehen der zwei- bis dreiteiligen Schichtbildern aus Acrylglas und ihrer Lichtplatten – ein fixierendes Zusammenziehen ist es durch die Kamera. Nach dem Ende der Repräsentation wird das fotografische Bild hier scheinbar wieder objektiv; das Medium zitiert seine ehemalige Funktion als neutrales wissenschaftliches Hilfsmittel. Doch nun steht es im Dienst des künstlerischen Konzepts. Es verbindet zwei bis drei Ebenen visuell zu einer neuen ästhetischen Information. Als „Skizze“ druckt die Künstlerin das zusammengezogene Erscheinungsbild, also die kombinierte Oberflächenwirkung ihrer Acrylglas-Lichtobjekte, experimentell am Papier aus – danach wird eine Auswahl dieser „Double Binds“ mittels Farbdruck auf Metall übertragen; ein weiteres Materialexperiment, bei dem die Kühle und der Glanz einer Niroster-Stahlplatte in der Erscheinung des Fotodrucks mitwirken, womit die Künstlerin einmal mehr dem Disparaten ihrer Themenpole folgt.
Nicht die sinnlich bunten gefrorenen Blüten sind hier vordergründig, sondern die Durchsicht auf die reduzierten Spuren der eingefrästen und gekratzten Zahlen zum „Earth Overshoot Day“ und anderer Daten zur Welterschöpfungsbilanz durch Stickstoffanreicherung des Global Footprint Networks. Die Daten werden in ein eigenwilliges Licht zwischen gleißendem Glanz und Kühle gerückt. Je nach Betrachterstandpunkt und Intensität der Beleuchtung wechselt auch das Erscheinungsbild des Prints auf dem Metall. Der Glanz darf seine Eigenmächtigkeit in den verschieden gewählten Ansichten entfalten – je nach Sichtwinkel kann ein dunkler Schattenschleier oder auch gleißend heller Glanzfleck mitwirken.
Im Zeitalter der Fotografie nach der Repräsentation bleibt diese konzeptuelle Schiene in der materiellen Erscheinung widersprüchlich, aber auch thematisch geht es um die Übertragung eines Begriffs aus der Kommunikationstheorie und Psychologie. „Double Bind“ meint die Widersprüchlichkeit gleichzeitig übermittelter Nachrichten, hat aber auch viele andere Bedeutungen; die Vielschichtigkeit ermöglicht der Künstlerin eine Art Metakommunikation. So kann sie mit diesen Werken auch die großen gesellschaftlichen Widersprüche offenlegen ohne eine plakative Form der Kritik einzuschlagen. Wie der Energieverbrauch der LEDs und das unzerstörbare Plexiglas ist auch das Metall ein nicht rostendes, unverwüstliches Material, auf dem allerdings die Farbschicht der Fotografie im höchsten Grad verletzlich haftet: jeder Kratzer vom Transport, jede Berührung kann dieses Konstrukt zerstören. Die Daten unserer rückläufigen „Zivilisation“ sollen schockieren, doch sie deuten sich im Kunstwerk gewandelt in Schönheit an. Sinnlichkeit der Erscheinung korrespondiert mit einer wütenden Geste, die nach eigentlichem Bewahren schreit und doch stilles Bild bleibt.
Denn es kommt mit künstlerischen Mitteln zur Schöpfung einer dünnen (Farb-)Haut, die das Kunstwerk am Metall sichtbar macht, aber ähnlich den Eisblumen im Fenster oder den schnell verderbenden Blumenmodellen der Künstlerin für ihre Arcylglas-Lichtobjekte, in hohem Grad verletzlich ist. Das Paradox von Lichtspuren, die das Metall so durchsichtig wie Glas erscheinen lässt, und damit auch zu einer Art von Täuschung führt wie wir sie aus der Trompe l’oeil-Malerei her kennen, ist ein weiterer Hauptfokus dieser Metakommunikation mittels Kamera. Das Doppelbild, seine Wirkung auf dem Metallträger durch die Beleuchtung, und die Zusammenführung mittels Kamera, sind eine neue Form von „Sandwich“-Verfahren, das in der Fotografie des Surrealismus und der Zeit von Dada seine ersten Höhepunkte in mühsamer, weil unberechenbarer Doppelbelichtung des Schwarzweißfilmes erfuhr. In der digitalen Technik können diese fotografischen Varianten der Collage und Montage eine Vielfalt von Höhenflügen antreten. Wenn der Computer nicht abstürzt und Daten mit sich reißt, ist die Reproduzierbarkeit so unerschöpflich wie die Varianten.
Schönheit und Kühle der Glanzoberfläche des direkten Fotodrucks am Metallträger stehen im Gegensatz zu den erhitzenden, hell aufglühenden Zahlen der überstrapazierten Natursubstanz. Der Gebrauch von Metallplatten als Träger von Fotografie – bislang allerdings auf einer Folie ausgedruckt und aufkaschiert - ist trotz der hohen Verletzlichkeit der Oberfläche von Prints allgemein sehr beliebt seit den neunziger Jahren, vor allem die konzeptuelle Fotografie nützt diese „coole“ Präsentation mit Vorliebe. Schwingen also in Cassinis neuer Serie nicht auch verstärkt institutionelle Kritik und eine gegenüber marktgerechten Präsentationsformen von Fotografie mit? Letztere spielt heute oft lieber mit dem Objektcharakter als mit der Nähe zur Malerei; daher werden restauratorische Bedenken gegenüber dem trendigen Erscheinungsbild zurückgestellt wie die sich ständig hoch multiplizierenden Zahlen versäumter Umweltpolitik. Die scheinbar so haltbare Technik erweist sich als hypersensibel, und so übernimmt das Hartweiche auch inhaltliche Komponenten.
1 Eine Besonderheit des Farbdrucks ist der Ersatz der Farbe Weiß (die durchsichtig wird) durch die Oberflächenerscheinung des Metalls, was den Glanzeffekt erheblich steigert.
2 Rolf Sachsse: Fotografie. Vom technischen Bildmittel zur Krise der Repräsentation, Köln 2003.
Glühend Eis III
Aber die Wörter haben
Widerwörter und Wiederwörter
Wolf Peter Schnetz
Notizen zu einem Liebesgedicht (Ausschnitt)
John Doe’s
konzeptuelle Fotografien auf Schieferplatten
In einem dritten Schritt wendet sich Theres Cassini der urgeschichtlichen Kunstfolie zu – die Bezüge zur Metapher Sigmund Freuds vom archäologischen Moment des Schürfens in der Psyche wie im vorliegenden Kunstwerk verdichten sich in den geschliffenen Bunt-Schieferplatten mit interessanten Eiseneinschlüssen und anderen Oxidationen von Metallen. Sie lösen einen besonderen Schimmer aus, sind bereits abstraktes Bild für sich, das für die Künstlerin den „schönen Schein“ vermittelt.
Linien und Zahlentafeln mit transformierten Umweltzahlen werden aus den Fotografien der Schichtbilder in Pixel verwandelt übernommen, in den Computer eingespielt und bearbeitet. Mittels eines weiteren speziellen Druckverfahrens werden die Zahlenreihen und zuweilen auch eine Begrenzungslinie in Rot auf die Schiefertafeln aufgebracht und eingebrannt. Statt der Ritzung oder Fräsung in der Licht-Plexiglasplatte ergeben sich am Stein erhabene Zahlen. Das scheinbare Relief wirkt aber aus der erfahrenen Wahrnehmung der Jahrtausende wie eine Einkerbung. Auf manchen der sehr unterschiedlichen Platten sind die binären Zahlen 0 und 1 noch erhabener gedruckt als die anonymeren anderen Ziffern. Die rote Linie gibt den Schichtungen eine innere Geografie, grenzt Gebiete ab, ist wie eine Kartierung der Welt. Zufällig gespaltene Schichten mutieren zu Landkarten, im übertragenen Sinn sind es fossile Landschaften mit Höhenlinien und Seen, Grenzen und Flüssen. Darauf werden die in die Millionen gehenden Zahlen unserer Ausbeutung, des Übergenusses, der Verschwendung, zu Lichtvisionen, auch weil sie in Reihen oder überlappend aufgedruckt, nicht immer gut leserlich wiedergegeben werden. Somit ist die deutliche, auch verdoppelte oder gebündelte rote Linie eine Art Fieberkurve unseres Zustands der Übertretung von Grenzen ohne Rücksicht auf Verluste. Ambivalenzen haben bereits die Kunstwerke des Manierismus bestimmt, nun ist mit der Ambiguität ein weiterer Zerfall des Einheitlichen wichtiges wie aktuelles Merkmal.
Die Steinplatte wird zu einem haptisch aufgeladenen Objekt, das seine ästhetische Erscheinung in einer kleinen Serie auf geschliffenem und mit Öl eingelassenem Kalkstein bis zum Kitschmoment steigert, wenn die Steinfarbe mit den Farben des Fine-Art-Prints changiert wie die Sfumato-Übergänge des Regenbogens. Diese Einträge auf dieser Edition wirken wie Striche in einem Kalenderblatt, das jedoch ein handlicher Stein ist. Die Zahlenreihen scheinen mit auf und sind untrüglichen Faktoren der noch nicht sichtbaren Zerstörung, die jede versöhnliche Vision wieder auf die Starrheit des Steins zurückwirft. Die Umkehr der gläsernen Herrlichkeit und des vereinenden Moments in der Kamera ist schon am Metall der „Double Binds“ eine Umkehr der Zivilisation in Barbarei vom Thematischen. Unverrottbar auch dieses Material, dazu opak, und was zuerst wie im Glas eingeschlossene Blüten anmutet, transluzid oder verletzlich ist, wird zum im Stein fixierten, schwer zerstörbaren Druck. Und doch appelliert das eingefrorene undurchsichtige Naturbild wieder an die Zerbrechlichkeit und unsere Abweichung von der Zivilisation, auch hier in absurd fantastischer Weise.
Kunst kehrt, als ganz heutiges Konzept, zum ursprünglichsten Malgrund und Bildhauer-Material zurück und verbindet so an einer Schwelle Urgeschichte und Zukunft. Wie die Höhlenmalereien scheinen diese Fotografien auf dem Steingrund auf. Doch sind es keine gemalten Tiere, sondern Pflanzenfragmente und Zahlenreihen, die neue Herbarien und wissenschaftliche Attitüden mit sich bringen. Die zwei Seiten des Kunstwerks gibt es in Cassinis Fall real und auch inhaltlich: manche Schieferplatte bleibt als Pendant zu den bedruckten naturbelassener Schnitt. Seine Geografie ist die urweltliche Faltung zu Schieferschichten und wirkt doch – zum Kunstwerk in der Folge der Ready-mades ernannt - wie abstrakte Malerei.
Der Stein birgt die ganze Kunstgeschichte in sich, neben den ur- und frühgeschichtlichen Denkmälern, und der Verbindung zu Architektur wie Skulptur, auch die Verwendung in der „Arte povera“ mit ihren Gegensatzpaaren von hart und weich bei Jannis Kounellis oder in der „Land Art“ und Konzeptkunst, insbesondere den weltgeschichtlichen Untersuchungen eines Robert Smithson. Auch für ihn war die Sprache des Materials durch die Zeiten ein in der Kunstgeschichte und der Ästhetik viel zu wenig berücksichtigter Faktor. Dass Cassini für ihre mit Computerbild und Drucker bearbeiteten Schieferplatten den Titel „John Doe“ wählt, spricht zusätzlich für ein neues Künstlerbild, weg von dem alten Geniebegriff der Romantik. Wie Kaspar Hauser ist John Doe der Niemand, der Jedermann ungeklärter Identität, das Neutrum, der Findling, das Androgyn.
Die uneindeutige Botschaft korrespondiert mit der grundsätzlichen Werkstrategie der Künstlerin in gegensätzlichen Materialien wie Metall oder Stein und auch Textil oder Fotofolie und an ihrer Verfremdung zu arbeiten. Dieser Wechsel bringt Verunklärung und hat einen markant ironischen Zug, künstlerisch wird er aber seit der „Arte povera“ verstärkt eingesetzt. Cassini hat ihn allerdings in einer neuen Kombinatorik in die konzeptuelle Fotografie eingeführt. Dazu führt die Unumkehrbarkeit der Umweltdaten und ihre unfassbare Steigerung, konsequent gesehen, in diesem Drei-Phasen-Werk zu einer weiteren Ausformung von „sozialer Plastik“. Der Aspekt des Anonymen gibt die Möglichkeiten weitreichender Partizipation der Betrachter. Wie werden diese Kunstobjekte präsentiert? Liegend, an der Wand hängend oder an Borden befestigt, ans Fenster gestellt – auch darin gibt uns die Künstlerin keine Eindeutigkeit, von Fall zu Fall ist die Entscheidung anders.
1 AtlasMapping, Hg. Paolo Bianchi, Sabine Folie, Linz – Bregenz (Offenes Kulturhaus und Kunsthaus) 1997.
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