
Kunstzeitung November 2019
Vktoria Sommermann
Peep-Show
Berlin: Theres Cassini im Arcotel Velvet
Splitterfasernackt auf Tuchfühlung mit der Kunst gehen: Im Arcotel Berlin begegneten Hotel-Gäste einen Monat lang den Arbeiten von Theres Cassini - und zwar nicht in der Lobby oder an den Zimmerwänden, sondern in der eigenen Badewanne. "Duschberichte" taufte Cassini ihr interaktives Kunstprojekt, bei dem menschengroße, geharzte Fotografien von Körperformen in den Duschen der Hotelbesucher platziert werden. Wie reagieren sie auf einen nackten Fremden in der eigenen Wanne? In Form von Berichten können die Gäste ihre Emotionen während der Begegnung festhalten und an Cassini schicken, die sie dann gemeinsam mit den Körperformen ausstellt.
Vor 15 Jahren startete die Künstlerin (Jahrgang 1960) erstmals das Projekt in Berlin, ebenfalls im Arcotel. Damals schwankten die Reaktionen von Begeisterung bis hin zu Unverständnis. "Aber in einer so langen Zeit hat sich vieles getan", weiß Cassini, "vor allem durch die Sozialen Medien." Es sind zwar derselbe Ort und dieselbe Stadt, aber völlig neue Gäste und eine andere Zeit. Wie reagieren die Leute heute auf die Kunstrwerke? Für Cassini bedeutet die Neuauflage der "Duschberichte" zudem eine Reise zurück in eine frühere Phase ihres Werkes.
Nachdem sich die Österreicherin zu Beginn ihrer Karriere mit textilen Objekten beschäftigte - zu dieser Zeit entstand die "Dornenkrone" in Zusammenarbeit mit Martin Kippenberger - wandte sie sich anschließend dem menschlichen Körper zu. Dieses Thema ergab sich, nachdem Theres Cassini im Alter von 16 Jahren eine Skoliose-Operation über sich ergehen lassen musste und die folgenden Monate durch Gipsverband und Korsett "eingesperrt" im eigenen Körper verbrachte. In dieser körperbezogenen Werkphase entstanden die ersten "Duschberichte", die sich durch die Interaktion zwischen Betrachter und Kunstwerk auszeichnen, der man oft in Cassinis Arbeiten begegnet: Ähnlich wie bei den späteren "Lichtspeisen" und "Schleckbildern", die Menschen während des Essens einfangen, bricht Theres Cassini mit ihren Arbeiten in den Alltag ein. Legt den Fokus auf Momente, in denen wir uns sinst unbeobachtet fühlen. Sie konfrontiert dort mit der Kunst, wo man sie nicht erwartet. Dabei wird man selbst zum Beobachter der eigenen Handlungen und stellt sich die Frage: Ist man locker genug, oder geht einem die Peep-Show in der eigenen Dusche dann doch zu weit?
Victoria Sommermann
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