DIE BRÜCKE
Kärntens Kulturzeitschrift Nr. 19, August - September 2020


edition B kunst.aus.druck

Theres Cassini

Feuerwasser.

 

Noch bis 20. August ist die Ausstellung Urkörper Schwarm der in Rattendorf geborenen und heute in Wien lebenden Künstlerin Theres Cassini im Schau Kraftwerk Forstsee zu sehen, in der kugelähnliche Gebilde an jene unsichtbaren Kräfte und auch Gefahren gemahnen, welche unseren Alltag in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr beeinflusst haben und auch weiterhin bestimmen. Es ist die Sichtbarmachung des Unsichtbaren, auch
die Bewusstwerdung unbewusster Vorgänge, welche Cassini hier in den Fokus der Aufmerksamkeit bringt. Mit dem Thema des Unbewussten setzte sich Cassini bereits in der Arbeit Wasser 01 (2004) auseinander, die sich heute in der Sammlung Leopold
befindet und in der eine den Vollmond anheulende, bis zur Brust in einem Gewässer stehende Katze das Zentrum einer surrealen Szenerie bildet, in welcher die Katze symbolisch den Mond zu verkörpern bzw. zumindest sein Geheimnis zu kennen scheint. Schon seit jeher diente die Katze als Inspiration bedeutender menschlicher Projektionen in positiver wie auch negativer
Hinsicht: es sei nur an die als Katzengöttin dargestellte Bastet erinnert, welche im Alten Ägypten als Göttin der Fruchtbarkeit
und Liebe verehrt wurde, an Manekineko, der japanischen Katze, die Kunden in die Läden winkt und damit Glück und Wohlstand bringt oder die Katze als Symbol der subversiven Macht des Teufels
im christlichen Glauben. Als kulturgeschichtliches Phänomen und Motiv der bildenden Kunst erfreute sich die Katze seit Ende des 18. Jahrhunderts zunehmender Popularität und die Auseinander-setzung mit ihrem rätselhaften Wesen scheint bis heute ungebrochen.

Katzen begleiten Theres Cassini nicht nur als Motiv ihrer Arbeiten, sondern auch den Alltag der Künstlerin. Nelly von Honeyrock
und Malewitsch bereichern das Leben im Atelier und begegnen den Objekten und Bildern von Cassini in einer Weise, in der Betrachter und Betrachterinnen niemals an die künstlerischen Arbeiten Cassinis herankommen könnten. Diese kleinen Situationen des Arbeitsalltags mit den neugierigen und anschmiegsamen Haustieren hat Theres Cassini in einer Reihe von Fotografien festgehalten, welche die Künstlerin auf ihrem Instagram-Account
veröffentlicht hat. Die Katzen werden hier zu Protagonist*innen von vollzogenen performativen Akten an und in künstlerischen
Werken und Umgebungen und spiegeln damit die Vereinigung der besonders Katzen zugesprochenen Wesenszüge wie Unabhängig-keit und Stolz, Anschmiegsamkeit und Rückzug wider.
Kater und Katze sind aber nicht nur Teil des Lebens der Künstlerin, sondern ihr pflegeaufwendiges Fell dient Cassini auch als Ausgangsmaterial einer Serie von Arbeiten, mit denen sich die Künstlerin schon länger beschäftigt. Es sind starkfarbige,
bunte Fotografien von Objekten, puppenähnliche Portraits, die – obgleich im Medium der Fotografie umgesetzt – an die große Tradition der Portraitmalerei erinnern. Die wie auf Bühnen inszenierten Objekte, die Cassini vor dem Hintergrund
hochwertiger Tapeten in stille Umgebungen setzt, tragen als Haupt die notwendigerweise zur Fellpflege abgeschnittenen, verfilzten Katzenhaarbüschel. Gemeinsam mit den geformten und bemalten Restkörpern sind die gesichtslosen Objekte über Farbe, Bemalung und Aussehen der Haarbüschel individualisiert, erscheinen die
Puppen in den Fotografien als charakterlich eigenständige Wesen und ähneln kultischen Gegenständen mit magischer Bedeutung.
Cassini hat dieser Serie der Fotografien den Namen Feuerwasser gegeben und erinnert damit an die Geschichte der indigenen Bevölkerung Amerikas, der Ausrottung, Vertreibung und Unterwerfung großer Teile der indianischen Urbevölkerung
zwischen dem 17. und dem 19. Jahrhundert. Die Künstlerin bringt insbesondere die Situation der Nachkommen ins Gedächtnis, die heute noch in den im 18. Jahrhundert errichteten und von einzelnen Staaten zugeteilten Reservaten unter widrigsten Bedingungen ihr Leben zu bestreiten versuchen. Hohe Arbeitslosenzahlen, Armut, eine steigende Selbstmordrate wie auch mangelnde Zukunftsperspektiven, der Verlust der religiösen
Wurzeln unter europäischem Einfluss und Orientierungslosigkeit haben in den Reservaten zur Folge, dass übermäßiger Drogen wie
auch Alkoholkonsum die missliche Lage zunehmend verschärft.

Die Puppen von Cassini mit ihren aus Katzenfell geformten Skalps gleichen in diesem Zusammenhang den Kachina- Puppen der Hopi-Indianer, figürlichen Darstellungen der als Vermittler tätigen
regen- und fruchtbarkeitbringenden Naturgeister. Diese fanden als Bildmotiv u.a. schon bei Emil Nolde Aufnahme. Im Gemälde Exotische Figuren II (1911) brachte Nolde zusammen, was später auch Cassini auf eine andere Weise gemeinsam in Szene setzt: Puppe und Katze. Folgte Nolde jedoch noch dem naiven Exotismus
des Expressionismus, so ist bei Cassini die Beschäftigung mit dem Thema von einer kritischen Auseinandersetzung mit einem der weltweit größten Völkermorde im Zuge der Kolonialisierung Amerikas und dessen verheerenden Auswirkungen bis heute getragen. www.cassini.at

Anja Werkl
* 1978, aufgewachsen in Obdach und Eberndorf/Dobrla
vas. Studium der Kunstgeschichte und Europäischen Ethnologie
an der Universität Innsbruck. Zahlreiche Publikationen
in Katalogen und Fachzeitschriften mit Schwerpunkt
zeitgenössische Kunst. Lebt und arbeitet derzeit in
Wien und Steyr.

Ausstellung: Urkörper Schwarm

bis 20. August
Schau-Kraftwerk Forstsee
Gespräch mit der Künstlerin
am 6. August, 18 Uhr

 

 









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