Einführende Worte zur Eröffnung der Ausstellung in der Galerie3

Dr. Heimo Strempfl, Leiter des Robert Musil Literatur-Museums

Die Künstlerin Theres Cassini hat auf ihrer website www.Cassini.at einen Abschnitt über die kinetischen Skulpturen, an denen sie seit dem Jahr 2012 intensiv arbeitet, gestaltet.

Sie leitet diesen Abschnitt mit dem folgenden kurzen Text ein:

„...eine Türe öffnet sich, ein Mensch durchquert den Raum,
der Windhauch verfängt sich in den schwebenden Objekten,
die Kinetische Plastik beginnt zu tanzen...“

All das ist hier in der Galerie 3 gerade passiert: Eine Türe hat sich geöffnet. Sie, sehr geehrte Damen und Herren, haben den Raum durchquert. Der Windhauch hat sich in den schwebenden Objekten verfangen und die kinetischen Plastiken der Künstlerin tanzen im Raum.

Neben dem erwähnten Text hat Cassini auf ihrer Website ein Foto, welches die Rotunde im Guggenheim Museum in New York City zeigt, platziert – ergänzt um ihre kinetischen Plastiken. Als einen anzustrebenden Ausstellungsort. Ich freue mich sehr darüber, dass Theres Cassini ihre Arbeiten – gleichsam schon vorher – in der Galerie 3, als einem realen Ausstellungsort zeigt, wie sie das ja schon oft gemacht hat. Zuletzt im Jahr 2011, als Cassini im Kabinett ihre Ausstellung „Glühend Eis“ gezeigt hat.

Die Skulpturen der Künstlerin schweben im Raum und Theres Cassini schenkt uns Leichtigkeit, indem sie ihre Objekte mit einer feinen Kunststoffschnur an der Decke befestigt und damit gleichsam von ihrer Erdenschwere befreit. Als „Erdenschwere“ wird bei Duden.de das als Last empfundene Erdenleben, das den Höhenflug des Geistes und der Seele oft verhindert, definiert. Ich würde wiederum das, was Cassini hier in der Galerie 3 unternimmt, nämlich uns als Publikum zu solchen „Höhenflügen“ einzuladen, als eine noble Aufgabe der Kunst bezeichnen wollen.

Cassini pustet mit dem Objekt „Yellow Dust“ gleichsam gelben Staub in den Raum. Diese spezielle Art von „Staub“ setzt sich aus Drahtkleiderbügeln, die mit Textilien überspannt sind, zusammen. Soviel zur Materialität einiger der hier gezeigten Objekte.

Mit ähnlichen Elementen, nämlich mit Draht und Textilien, arbeitet die Künstlerin auch bei der Skulptur, die den Titel „Das bedeutet nichts“ trägt. Diese Arbeit markiert sozusagen den Ausgangspunkt für Cassinis Arbeit an Literatur Mobiles im Rahmen der kinetischen Skulpturen.
Es handelt sich bei dem erwähnten Satz um ein Zitat aus dem im Jahr 1942 erschienen Roman „Der Fremde“ des französischen Schriftstellers Albert Camus. Das Wort, der Satz – und selbst wenn es der Satz „Das bedeutet nichts“ ist – bedeutet im literarischen Zusammenhang natürlich immer alles. Die Schriftstellerinnen und Schriftsteller gestehen dem Wort sozusagen eine magische Funktion zu.  Theres Cassini regt mit ihren kinetischen Plastiken, indem sie die Worte in ihre bildnerische Sprache „übersetzt“, unseren Geist und unsere Seele an, beweglich zu bleiben.

Sie arbeitet gleichsam mit dem „Möglichkeitssinn“, dessen Magie uns ein aus Klagenfurt gebürtiger Schriftsteller ganz deutlich vor Augen geführt hat. Auch mit seinen Texten hat sich Cassini ganz intensiv auseinandergesetzt, wie eine weitere Präsentation ihrer Arbeiten in dem Geburtshaus des Schriftstellers, welches in dieser Stadt, aber etwas weiter südlich, nämlich gegenüber dem Hauptbahnhof liegt, beweist.

Aber auch in ihrer Serie von Objekten, die den Titel „Die 9 Charaktere des unverwüstlichen Kakaniers“ trägt, beschäftigt sich Theres Cassini inhaltlich mit dem Werk von Robert Musil, konkret mit einem Zitat aus dessen Opus Magnum „Der Mann ohne Eigenschaften“ (1), das da lautet:

“Denn ein Landesbewohner hat mindestens neun Charaktere, einen Berufs-, einen National-, einen Staaten-, einen Klassen-, einen geographischen-, einen Geschlechts-, einen bewußten-, einen unbewußten und vielleicht noch einen privaten Charakter; er vereinigt sie in sich, aber sie lösen ihn auf, und er ist eigentlich nichts als eine kleine, von diesen vielen Rinnsalen ausgewaschene Mulde, in die sie hineinsickern und aus der sie wieder austreten, um mit anderen Bächlein eine andere Mulde zu füllen.“

Mit Landesbewohner meint Musil die Staatsbürger der so genannten, 1918 zugrunde gegangenen „Donaumonarchie“. Von der Bezeichnung k. u. k., die im Reich der Habsburger für kaiserlich und königlich stand, hat Musil die Bezeichnung „Kakanien“ abgeleitet, die als eine Art poetische Chiffre für das Land steht und im deutschsprachigen Feuilleton gerne dazu verwendet wird, die Monarchie zu bezeichnen.

Aber auch bei anderen Arbeiten wendet Theres Cassini meiner Ansicht nach Musils Möglichkeitssinn an. Sie zeigt uns die Möglichkeit eines, aus Drahtkleiderbügeln, Textilien und einem Fell zusammengesetzten „Königstigers“, der uns als ein, in verschiedenfarbige, zarte Segmente aufgefächertes, Objekt vorgeführt wird, das von der Leichtigkeitsqualität her mehr einem Schmetterling ähnelt.

Bei anderen Objekten, beispielsweise bei der von der Künstlerin „Flederwisch“ genannten Skulptur, wäre vielleicht auch an die weibliche Scham, die Vulva, zu denken. Viele von Cassinis Skulpturen sind mit dünnen Textilien, die man auch als Haut sehen könnte, bespannt. Man könnte sie, bezogen auf das größte Sinnesorgen des Menschen, vielleicht „dünnhäutig“ nennen. Sie sind zarte Gehäuse für Leichtes. Die Künstlerin setzt damit auch ihre Expeditionen in die Welt der Körperlichkeit fort. In diesem Zusammenhang hat sie bereits Kunstfiguren „Balanceakte“ durchführen, „Duschberichte“ aufzeichnen lassen, sich bei dem Projekt „Leibes-Hausung“ mit den im menschlichen Leib abgelagerten Emotionen beschäftigt, „Lichtspeisen“, die den Weg ins Körperinnere weisen, verfertigt oder mit ihrer Ausstellung „Mundschlitze“ eine der wichtigsten Türen ins Körperinnere geöffnet. Diese Ausstellung war im Jahr 2006 ebenfalls in der Galerie 3 zu sehen.

Würde man nach Gemeinsamkeiten zwischen den Künstlern Theres Cassini und Michael Kravagna suchen, man könnte auf eine, die außerhalb des künstlerischen Bereichs liegt, stoßen. Sowohl Cassini als auch Kravagna sind Absolventen einer Höheren Technischen Lehranstalt (HTL).

 

 

Der Künstler Michael Kravagna ist der Galerie ebenfalls eng verbunden und hat hier zuletzt im Jahr 2009 seine Ausstellung „Inventionen“ gezeigt. Der Literaturwissenschafter und Regisseur David Bernet hat über die Arbeiten von Kravagna vor einiger Zeit Essentielles niedergeschrieben. Bernet notierte damals über die Arbeiten des in Klagenfurt geborenen und seit dem Jahr 1991 in Belgien lebenden Künstlers folgendes:
„Kürzlich saß ich vor einem Bild von Michael Kravagna und habe auf der Oberfläche plötzlich ganz schemenhaft die Umrisse eines halben Gesichts gesehen. Da eine aufgeworfene Lippe, dort eine Kinnlinie, die sich bis zur Augenkerbe eines Profils fortsetzt und eine glatte samtene Stirn andeutet.…aber es war schlicht eine Halluzination, eine Fata Morgana, eine durch Überintensität und Tiefe eines fast schwarzen Gemäldes provozierte Reizung der Pupille. Denn Kravagnas Bilder erzählen keine Geschichten.“
Vgl. www.kravagna.com

Und dennoch habe das Wesentliche dieser Vorstellung, so David Bernet weiter, viel mit der Art und Weise von Kravagnas Malerei zu tun. Der Maler sensibilisiere „durch seine präzise Gestaltung das Auge des Betrachters für die kleinsten Erscheinungen auf der Bildoberfläche“.

Kravagna geht es darum, die „Bildwirkung (…) aus der Farbe heraus zu erzielen“. Die Farbe wird dabei auf einer Fläche strukturiert. Und das mit äußerster Konzentration. Man könnte, was Michael Kravagnas Arbeitsstil angeht, fast von einem "wissenschaftlichen" Ansatz sprechen. So gesehen ist für den Künstler auch die Wiederholung eines Bildes und die Analyse des Resultats der eigenen Arbeit wichtig, um im künstlerischen Prozess Fortschritte erzielen zu können. Der deutsche Kunstkritiker Stefan Skowron notierte zur Arbeitsweise von Michael Kravagna, dass sich der Künstler „vorurteilsfrei den gleichen Problemen immer und immer wieder“ stelle und damit letztlich der Frage „Was kann Malerei leisten?“ nachgehe (2).
Und irgendwann, so Michael Kravagna in einem Interview, gebe es in seiner Arbeit einen bestimmten Moment, einen Durchbruch. Und um den zu beschreiben bemühte er eine Analogie des bereits erwähnten, in Klagenfurt geborenen, Schriftstellers. Sie lautet folgendermaßen:

Ein Hund will mit einem Stock im Maul durch eine Tür, aber die Tür ist zu schmal. Der Hund dreht und wendet sich und stellt plötzlich fest, dass er das Problem gelöst hat: Er ist durch die Tür durch! Musil spricht von einem „verdutzten Gefühl“ gegenüber der Lösung.
In der Malerei, so Kravagna, sei es ähnlich, nur dass er die Lösungsversuche "etwas kontrollierter angehe". Aber ihm gefalle die Vorstellung, mit einem "verdutzen Gefühl" vor einem fertigen Bild zu stehen (3).

Und ein nicht weniger "verdutztes Gefühl", sehr geehrte Damen und Herren, wünsche ich Ihnen bei der Betrachtung der aktuellen Arbeiten des Künstlers.

  1. Vgl. Robert MUSIL: Gesammelte Werke, Neun Bände, herausgegeben von Adolf Frisé, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag, 1981 [ = Bd.1: Der Mann ohne Eigenschaften ], S. 31.

  2.  Vgl. Monopol-magazin.de: Michael Kravagna – Malerei.

  3.  Michael Kravagna im Interview mit David Bernet. Vgl. Kravagna.com











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