Berliner Zeitung 26. Nov. 2002

Flirt mit der Lilie von Susanne Lehnart

Berlin, 25. November. Katzen haben die Fantasie der Menschen schon auf vielfache Weise beflügelt. Sie gelten als Unglücksboten, queren sie den Weg von links nach rechts, sitzen als unheimliches Attribut stets auf der Hexenschulter oder stiefeln königstochterraubend durch die Märchenwelt.
Sie singen, tanzen, alles andere als katzengrau, in der Mondscheinnacht, spazieren aristokratisch durch den Central Park oder musizieren gemeinsam mit drei anderen Bauernviechern in Bremen um ihr Leben.

Das Kürbiskopf-Orakel

Die Tiere als Hauptdarsteller des Sommernachtstraumes zu inszenieren, ist neu. Die österreichische Künstlerin Theres Cassini hatte diese Idee und erkor ihr Katzenpaar zu Protagonisten einer Foto-Love-Story frei nach Shakespeare. Kewpie&Johnny - Von Elfen verzaubert", so heißt ihr Bildband, der im NP-Buchverlag erschienen ist. Ihr Mann, der Psychologe Franz J. Schaudy, schrieb den Text dazu. Cassini fotografierte Kewpie (sprich: Kjupie) und Johnny- schwarz weiß gefleckt und braun getigert- in einer Naturkulisse, die sie nachträglich am Computer bearbeitete.
In die Bilder hinein montierte sie Aufnahmen der kleinen Elfen, dargestellt von Kindern befreundeter Paare in selbst entworfenen Kostümen. Die Elfen heißen Röschen, Primel, Eichel, Steinbrech oder Lauch, ihr Chef ist Puck. Die ganze Bande fällt eines Tages in die Stadtwohnung des Katzenpaares ein und stört deren Harmonie gewaltig. In einem Willkürakt verwandeln sie den schlafenden Kater Johnny in einen der ihren - einen Tigerelf. Die verstörte Kewpie muss Johnnys anschließende Amnesie hilflos mitansehen, und damit nicht genug, kaum zum Tigerelf mutiert, flirtet der Exkater auch schon mit Rubrumlilie. Heldin Kewpie steht vor einer schweren Prüfung. Sie muss das Rätsel des Kürbiskopf-Orakels lösen, um ihren Liebsten wiederzugewinnen.
"Frei nach dem Motto: "Kitsch as Kitsch can" bitten Cassini und Schaudy zu einem märchenhaften Elfentanz in einer perfekt inszenierten Scheinwelt", so schrieb die Wiener Kronen Zeitung in Ihrer Besprechung des Fotobandes. "Es stimmt - meine Idyllen sind Kitschwelten", sagt Theres Cassini. Ihre Idee sei von vielen ihrer Freunde und Förderer zuerst als "unpassend" oder "zu weiblich" empfunden worden. Für sie habe die Arbeit an dem Bildband aber einen wichtigen Ausgleich in Abgrenzung zu ihren anderen Kunstprojekten bedeutet.
Kennt man die, ist man in der Tat auf der Hut - und schaut ein bisschen genauer hin bei der Lektüre des Katzen-Bildbandes. "Cassinis liebliche Bildkompositionen versetzen Nackenhaare in Sträubbereitschaft", so formulierte es die österreichische Kunstzeitschrift Die Brücke. Denn die übrigen Foto-Arbeiten und Objekte der 42-jährigen Künstlerin aus dem Gailtal sind verstörend; ihre Themen: Krankheit, Gewalt, Behinderung und Tod. Cassini erschafft versehrte Puppenwelten. Puppen, die auf ihrem Beinstumpf tanzen, die verwundet im Krankenbett liegen oder erschossen im Sarg. Das Bild "Die gebrochenen Säule" von Frida Kahlo hat sie als Barbie-Skulptur im Stahlkorsett nachgebildet und fotografiert.
Theres Cassini teilt die Wahrnehmungswelt der mexikanischen Künstlerin in deren langer, schmerzhafter Krankheitserfahrung. Die beiden unterschiedlichen Ausrichtungen ihrer künstlerischen Arbeit - die Darstellung des Schrecklichen und die der heilen Unschuld - betrachtet Cassini als These und Antithese ihrer Weltsicht, als 2 Seiten derselben Medaille. Märchen wie das von Kewpie & Johnny gehören für Cassini dazu. "Märchen sind Aufarbeitungsgeschichten", sagt Franz J. Schaudy,
"und ideale Projektions- und Identifikationsflächen. Sie ermöglichen es uns, unbewusste Konflikte oder Sehnsüchte in der Fantasie aufzuarbeiten."
Vor Kewpie & Johnny muss sich daher kein Kind fürchten. Nur wer ganz genau hinschaut, graust sich ein wenig vor den unzähligen kleinen Käfern, Schnecken, Wanzen, Vanitassymbolen, die zwischen Blumen und Moos versteckt sind.


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